Legnica/Liegnitz: Gedenken an den Sozialdemokraten und Europäer Paul Löbe

Veröffentlicht am 27.12.2018 in Geschichte

Unsere frühere Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert berichtet über die Einweihung der Gedenktafel für Paul Löbe in Legnica:

Am 15. Dezember 2018 wurden im ehemaligen Liegnitz, dem heutigen Legnica in Polen, zwei Gedenktafeln am Geburtshaus von Paul Löbe, Sozialdemokrat, Demokrat und Europäer eingeweiht. Damit wird dem Reichstagspräsidenten von 1920 bis 1932 und ersten Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages nun in Deutschland und Polen gedacht. Der Berliner Geschichtswerkstatt e.V. ist für diese Initiative sehr zu danken.

Wer war Paul Löbe, Namensgeber des Paul-Löbe-Hauses, in dem die Ausschüsse des Deutschen Bundestages tagen, als auch der Paul-Löbe-Allee im Regierungsviertel, einer Schule in Reinickendorf und an den in Berlin-Friedenau eine Gedenktafel erinnert?

 

Im damaligen Liegnitz in Niederschlesien wurde Paul Löbe am 14. Dezember 1895 in äußerst arme Verhältnisse hineingeboren. Hier machte er seine Lehre als Schriftsetzer, hier vollzog sich seine Politisierung im Kaiserreich. Er trat jung in die Sozialdemokratie ein, arbeitete als Journalist bei der Breslauer sozialdemokratischen „Volkswacht“. Wegen seiner journalistischen Tätigkeit musste er mehrere Gefängnisstrafen wegen sogenannter politischer Vergehen antreten, so beispielsweise ein Jahr Einzelhaft wegen des Aufrufs zu Demonstrationen gegen das Dreiklassenwahlrecht. 1904 begann in der Stadtverordnetenversammlung Breslau seine parlamentarische Karriere. 1919 zog er für den Wahlkreis Breslau in die Weimarer Nationalversammlung und ein Jahr später in den Deutschen Reichstag ein. Mit einem Jahr Unterbrechung war er von 1920 bis 1932 der letzte demokratische Reichstagspräsident, bis ihn der Nationalsozialist Hermann Göring aus dem Amt drängte. Schon in dieser Zeit, engagierte sich Paul Löbe für Demokratie, für Völkerverständigung insbesondere auch zum Nachbarland Polen und als zweiter Vorsitzender der Paneuropa-Bewegung in Deutschland für die „Vereinigten Staaten in Europa“. Der Sozialdemokrat Paul Löbe setzte sich gegen das Terrorregime der NSDAP ein und wurde 1933 verhaftet und für sechs Monate im KZ Breslau-Dürrgoy inhaftiert und schwer misshandelt. Eine weitere Verhaftung erfolgte 1944. Er wurde im schlesischen Konzentrationslager Groß-Rosen gefangen gehalten, aus dem er am 9. Mai 1945 von den sowjetischen Truppen befreit wurde. Nach 1945 baute er die SPD mit auf und gestaltete als Berliner Vertreter im Parlamentarischen Rat die neue Bundesrepublik und ihr Grundgesetz mit. Am 7. September 1949 eröffnete er als Alterspräsident die erste Sitzung des 1. Deutschen Bundestags mit einer beeindruckenden Rede. 1955 wurde er zum Ehrenbürger Berlins ernannt und bekam fünf Jahre später, am 14. Dezember 1960, die Ernst-Reuter-Plakette. Er starb am 3. August 1967 in Bonn und wurde mit einem Staatsbegräbnis auf dem Waldfriedhof Zehlendorf als Ehrenbürger Berlins beigesetzt.

 

Jürgen Karwelat, Mitglied des Vorstandes der Berliner Geschichtswerkstatt e.V., hatte bei einem Besuch in Legnica zusammen mit ehemaligen Liegnitzer*innen die Idee, mit der Erinnerung an Paul Löbe eine Brücke zwischen Berlin und Liegnitz, zwischen den mitten in Europa gelegenen Nachbarländern Polen und Deutschland zu bauen. In seiner Eröffnungsrede erinnerte er an die Kriege, die von Deutschland ausgingen und zur Verwüstung unseres Kontinents führten. Demokrat*innen heute hätten „die besondere Aufgabe, friedlich miteinander zu leben und in gewisser Weise füreinander zu sorgen. Dabei ist es gut, wenn wir uns an eine gute gemeinsame Vergangenheit erinnern können. Diese gemeinsame Vergangenheit verkörpert Paul Löbe.“ Mit der Tafelanbringung an seinem Geburtstag würde praktisch sein 143. Geburtstag gefeiert. Auch Krzyszlof Duszkiewicz, stellvertretender Stadtpräsident von Legnica, erinnerte an die demokratische Haltung Paul Löbes, die ihn ins Konzentrationslager brachte, und wünschte sich eine gute Völkerverständigung und Nähe zwischen Deutschland und Polen.

 

Die Enthüllung der zwei in Deutsch bzw. in Polnisch erstellten Gedenktafeln für Paul Löbe erfolgte durch Krzyszlof Duszkiewicz, Mechthild Rawert und der 92jährigen Helga Zinsmeyer, die 1926 in Liegnitz geboren wurde und als einzige Anwesende Paul Löbe noch persönlich gekannt hat. Sie hat bei ihm als Kind auf seinem Schoß gesessen. An der Gedenkveranstaltung und dem anschließendem Empfang im Museum nahmen u.a. teil Marcin Macuch, Historiker und Museumsdirektor des Kupfermuseum in Legnica, Ryzard Misiak, Architekt, Wolfgang Thust, Geschäftsführer, Steinmetz mit Wurzeln in Schlesien, der den schlesischen Marmor gestaltete, Peter Winkler, Vorstandsmitglied der Bundesgruppe Liegnitz e.V. und Autor des Buches Liegnitz A-Z sowie Hans Jörg Neumann, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Breslau. Erfreulicherweise waren auch zahlreiche interessierte Liegnitzer*innen und Berliner*innen anwesend. Die übrigen Grußworte wurden der Kälte wegen während des Empfangs im Kupfermuseum gehalten.

 

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, erinnerte in seinem von Aleksandra Kusnierz, Mitarbeiterin im Liegnitzer Museum, auf Polnisch verlesenen Grußwort daran, dass der Sozialdemokrat Paul Löbe auch nach dem Zweiten Weltkrieg, den Deutschland mit einem verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen Polen begonnen hatte, „in einem moralisch diskreditierten Land einen echten Neuanfang“ verkörperte. Paul Löbe „hatte 1933 als einer der Wenigen gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt und nationalsozialistischen Terror am eigenen Leib erfahren: 1933 für mehrere Monate in sogenannter Schutzhaft, nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 wegen seiner Verbindung zur Widerstandsgruppe um Carl Friedrich Goerdeler im Konzentrationslager Groß-Rosen in Schlesien. In seiner Heimat.“ Schäuble verwies auch darauf, dass Paul Löbe nach dem Überleben in der Diktatur die Verlusterfahrung mit Millionen Heimatvertriebenen verband. Auch deshalb trat er mit Nachdruck für die deutsch-deutsche Wiedervereinigung ein. Aber Löbe, der zu den frühen leidenschaftlichen Europäern zählte, hätte auch gewusst, dass dies nur in einem geeinten Europa möglich sein würde.

 

Auch Andrea Nahles, Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, betonte in ihrem von Mechthild Rawert (SPD), MdB a.D. verlesenen Grußwort den Vorbildcharakter von Paul Löbe als überzeugtem Europäer. Früher als andere habe er sich für Europa engagiert. Bereits in der Weimarer Republik hatte sich Paul Löbe als Präsident der deutschen Paneuropa-Union für Verbesserungen im deutsch-polnischen Verhältnis eingesetzt. „Paul Löbe hat gegen die Nazis gekämpft. Sein Vermächtnis ist unsere Verpflichtung. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist heute eine große Herausforderung für uns Demokratinnen und Demokraten. Es ist Aufgabe der gesamten demokratischen Gesellschaft und alle ihrer Institutionen, dafür zu sorgen, dass Intoleranz sowie rechtsextreme und antisemitische Einstellungen in unserer Gesellschaft keinen Raum finden.“

 

Generalkonsul Hans Jörg Neumann war direkt von der UN-Klimakonferenz im polnischen Kattowitz nach Legnica geeilt. Er brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass hier deutsche und polnische Freunde einen in Schlesien geborenen Politiker an seinem Geburtsort ehren. Dies sei ein wunderbares Symbol der deutsch-polnischen Freundschaft, sowieso sei Legnica/Liegnitz „ein beispielhafter Ort unserer Kooperation“. Paul Löbe sei nicht nur paneuropäisch aktiv gewesen, sondern habe sich besonders um das deutsch-polnische Verhältnis bemüht. „In der Zeit der Weimarer Republik sprach er sich im Namen der SPD für einen Ausgleich mit dem wieder unabhängigen Polen aus. 1927 reiste er deshalb zu Gesprächen mit polnischen Politikern nach Warschau und Lodz. Er erklärte ihnen, beide Länder sollen sich nicht länger „politisch bekämpfen“ sondern „wirtschaftlich zusammenarbeiten“. Dabei regte er Verhandlungen über strittige Grenzfragen an, als Gegenleistung könne das Deutsche Reich Handelsverträge anbieten. Leider waren seine diesbezüglichen Bemühungen nur von wenig Erfolg gekrönt.“ Paul Löbe hätte es gefallen, dass sein einstmals deutscher und jetzt polnischer Heimatort wieder in einer gemeinsamen Union vereint sind.

 

Einen Großteil der Finanzierung hat der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble übernommen. Hinzu kamen Spenden vom Verein der ehemaligen Liegnitzer*innen sowie von Privatpersonen.

 

Während des Empfanges habe ich häufiger darauf verwiesen, dass die SPD Friedenau anlässlich seines Todestages am 3. August 1967 Paul Löbe gedenkt. Er hat von 1936 bis 1939 in einer für ihn besonders schweren Zeit in der Rubensstraße 118 gelebt. Auch für die Friedenauer Genoss*innen ist es eine Ehre, dem Sozialdemokraten, überzeugten Demokraten und Europäer Paul Löbe zu gedenken. Sein Leitsatz „Je finsterer es draußen aussieht, umso fester müssen wir die Aufgabe in der eigenen Hand behalten“, ist uns politischer Ansporn.

 

Mechthild Rawert, MdB a.D.

 

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