Gedenken an Rosa Luxemburg

Veröffentlicht am 19.01.2016 in Geschichte

Gemeinsam mit der Friedensinitiative Schöneberg, Linken und Grünen gedachte die SPD Friedenau der Ermordung von Rosa Luxemburg vor 97 Jahren. Die Gedenkveranstaltung fand vor der Cranachstraße 58 in Friedenau, wo Rosa Luxemburg von 1902 bis 1911 wohnte. Gudrun Blankenburg erinnerte im Namen der SPD Friedenau an das Wirken von Rosa Luxemburg. Ottokar Luban stellte als Sekretär der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft den neuesten wissenschaftlichen Forschungsstand vor.

Die Rede von Gudrun Blankenburg zum Nachlesen:

Auch Rosa Luxemburg war ein Flüchtling

Mehr als 3000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in Berlin 2015 aufgenommen worden. Ohne Eltern, ganz auf sich gestellt, sind sie in ihrem jungen Leben schon geprägt von dem Trauma ihrer schrecklichen Fluchterfahrungen.

 

Mit 18 Jahren floh Rosa Luxemburg heimlich völlig allein aus ihrem Heimatland Polen in die Schweiz. Ein Pfarrer brachte sie auf einem Lastkarren, unter Stroh versteckt, über die Grenze. Sie erreichte ihr Exilland, die Schweiz, als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling.

 

Rosas Geburtsstadt Zamost im galizischen Teil Polens, wo sie 1871 geboren wurde,war von Russland okkupiert. Polnisch durfte nicht gesprochen werden. Die Polen waren Menschen zweiter Klasse in ihrem eigenen Land und stöhnten unter der zaristischen Knute und Zensur. Die jüdische Kaufmannsfamilie Luxemburg gehörte dem Bildungsbürgerstand an. Im Hause sprach man außer Polnisch auch Französisch, Russisch und Deutsch und las die deutschen Klassiker. Vom vierten Lebensjahr an durch ein dauerhaftes Hüftleiden gezeichnet, hörte das sensible und aufgeweckte Mädchen Rosa während ihrer Gymnasialzeit in Warschau von Gräueltaten an aufständischen polnischen Arbeitern und Andersdenkenden. Voll jugendlichem Mitgefühl und intellektueller Leidenschaft schloss sich die Schülerin Rosa einem geheimen, revolutionären Zirkel an. Die Schule, die sie mit der Bestnote in allen Fächern verließ, verweigerte ihr wegen oppositionellen Verhaltens die ihr zustehende Goldmedaille für ihre ausgezeichneten Schulleistungen. Schließlich drohte ihr sogar die Verhaftung durch die zaristischen Sicherheitskräfte wegen staatsfeindlicher Gesinnung.

 

Die Schweiz war um diese Zeit ein Land mit hoher Willkommenskultur. Als einziges Land in Europa gestattete die Schweiz schon vor 1900 Frauen den Zugang zum Studium und nahm die verfolgten SPD-Mitglieder aus Preußen auf, die vor dem scharfen Bismarck'schen Sozialistengesetz fliehen mussten. In diesem politischen Exil-Klima der Schweiz, getragen von einer Elite aus kämpferischen Sozialdemokraten, aufrührerischen russischen Arbeiterkämpfern und intellektuellen Frauen wuchs Rosa zu einer zielgerichteten, politischen Persönlichkeit hervor. Mit 26 Jahren und summa cum laude schloss sie ihr Studium der Nationalökonomie mit einer Doktorarbeit über die industrielle Entwicklung Polens an der Universität Zürich ab.

 

Die diskriminierenden Sozialistengesetze hatten ihre erhoffte Wirkung auf Zerschlagung der sozialistischen Bewegung im Deutschen Reich verfehlt. 1890 wurden sie aufgehoben. Die Sozialdemokratie ging gestärkter aus diesem Kampf hervor. Die SPD entwickelte sich zur mitgliederstärksten Partei im Deutschen Reich und zur mächtigsten sozialistischen Partei weltweit. Mit allen Fasern ihres Denkens schaute Rosa Luxemburg nach Berlin, wo sich das Zentrum der SPD befand. Ihre revolutionären Ideen für die vollkommene Anerkennung und Gerechtigkeit des arbeitenden Volkes sah sie in der deutschen Sozialdemokratie verwirklicht. Sie wollte in Berlin, im Kern der Sozialdemokratie, mitwirken.

 

Für dieses Vorhaben war sie wieder gezwungen, mit einem illegalen Trick die Grenzen zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich zu überwinden.

 

Durch ein pro-forma-Heirat erlangte sie die deutsche Staatsangehörigkeit und konnte damit sofort nach ihrer Ankunft in Berlin im Alter von 27 Jahren Mitglied der SPD werden. Sie stürzte sich mit Wucht in die Debatten der SPD. Es stand ein Wahlkampf an und sie fiel sofort allen Genossen auf, als sie als zarte Frauensperson in eleganter Kleidung, die zum Rednerpult humpelte und sich nicht den Mund verbieten ließ, mit lauter Stimme für die berechtigten Interessen der polnischen Arbeiter in Schlesien sprach.

 

Rosa Luxemburg war in Berlin eine unbequeme Genossin. Die gebildete Jüdin, Polin und behinderte Frau war ein Novum in der sozialdemokratischen Männerwelt. Die Genossen beäugten sie misstrauisch, konnte ihr jedoch den Respekt vor ihrem unerschrockenen Auftreten nicht absprechen. Die Partei brauchte, um der Routine und Selbstzufriedenheit zu entgegen, neue Stimmen. Man schickte Rosa als hervorragende Rednerin auf SPD-Parteitage und zu internationalen Kongressen.

 

Ihr radikales Auftreten für die internationale Arbeiterbewegung, das sie auch als Parteisprecherin, als Chefredakteurin der Sächsischen Zeitung, als Publizistin und als Lehrerin an der Parteischule in Kreuzberg vertrat, sah z.B. auch Massenstreiks der Arbeiterschaft als politisches Druckmittel vor. Damit stieß sie auf ideologischen Gegenwind bei einigen Genossen, die später zur großen Revisionismusdebatte mit Karl Kautsky und Eduard Bernstein führte, die den Weg der parlamentarischen Reformen für den erfolgsversprechenden Weg hielten.

 

Ihr unerschrockenes Auftreten und ihre radikalen Anti-Kriegs-Aktivitäten mündeten oft in Haftstrafen. In ihrem kurzen Leben saß sie mehrere Jahr im Gefängnis oder in Schutzhaft.

 

Ausgelöst durch das zaghafte Verhalten der SPD in der parlamentarischen Abstimmung zu den Kriegskrediten des 1. Weltkrieges, in der sich lediglich Karl Liebknecht als einziger gegen Kriegskredite ausprach, wand sich Rosa Luxemburg mit Liebknecht und einigen Getreuen von der für sie rückständigen Mehrheits-SPD ab. Sie war verzweifelt, dass die Mehrheits-SPD sich zu einem so schnöden Burgfrieden hinreißen ließ, der Rosas Höchstforderung 'Kein Krieg' ins Gesicht schlug. Der Spartakusbund als linker Oppositionsflügel der SPD wurde jetzt ihre politische Plattform.

 

In der totalen politischen Zersplitterung nach Kriegsende wurde der Spartakusbund zur Zielscheibe. Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von rechtsnationalen Freicorpsanhängern verhaftet, misshandelt und umgebracht.

 

Wir stehen hier und gedenken dieser aufrechten Frau Rosa Luxemburg. Ohne sie ist die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht denkbar. Sie glaubte an die internationale Macht der Werktätigen, die aus eigener politischer Kraft den Weg zu einer besseren Gesellschaft ohne Krieg und ohne Unterdrückung finden würden.

 

Hier im Haus Cranachstraße 58, im 2. Stock, lebte Rosa Luxemburg von 1902 bis 1911. Tempelhof-Schöneberg kann stolz darauf sein, dass zwei Wohnungen der Kämpferin in unserem Bezirk liegen und mit Gedenktafeln geschmückt sind: Die Wielandstraße 23 und die Cranachstraße 58. Rosa SPD-Ortsverein war der Ortsverein Mariendorf.

Kurt Tucholsky, der scharfe, kritische Geist, verfasste unmittelbar nach der schmählichen Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht das flammendes Gedicht:

 

Zwei Erschlagene

Der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zu Berlin in Liebe und Verehrung

Märtyrer ... ? Nein.

Aber Pöbelsbeute.

Sie wagtens. Wie selten ist das heute.

Sie packten zu, und sie setzten sich ein:

sie wollten nicht nur Theoretiker sein.

 

Er: ein Wirrkopf von mittleren Maßen,

er suchte das Menschenheil in den Straßen.

Armer Kerl: es liegt nicht da.

Er tat das Seine, wie er es sah.

Er wollte die Unterdrückten heben,

er wollte für sie ein menschliches Leben.

Sie haben den Idealisten betrogen,

den Meergott verschlangen die eigenen Wogen.

Sie knackten die Kassen, der Aufruhr tollt –

Armer Kerl, hast du das gewollt?

 

Sie: der Mann von den zwei beiden.

Ein Leben voll Hatz und Gefängnisleiden.

Hohn und Spott und schwarz-weiße Schikane

und dennoch treu der Fahne, der Fahne!

Und immer wieder: Haft und Gefängnis

und Spitzeljagd und Landratsbedrängnis.

Und immer wieder: Gefängnis und Haft –

Sie hatte die stärkste Manneskraft.

 

Die Parze des Rinnsteins zerschnitt die Fäden.

Da liegen die beiden am Hotel Eden.

Bestellte Arbeit? Die Bourgeoisie?

So tatkräftig war die gute doch nie ...

Wehrlos wurden zwei Menschen erschlagen.

 

Und es kreischen Geier die Totenklagen:

Gott sei Dank! Vorbei ist die Not!

»Man schlug«, schreibt einer, »die Galizierin tot.«

Wir atmen auf! Hurra Bourgeoisie!

Jetzt spiele dein Spielchen ohne die!

 

Nicht ohne! Man kann die Körper zerschneiden.

Aber das eine bleibt von den beiden:

Wie man sich selber die Treue hält,

wie man gegen eine feindliche Welt

mit reinem Schilde streiten kann,

das vergißt den beiden kein ehrlicher Mann!

Wir sind, weiß Gott, keine Spartakiden.

Ehre zwei Kämpfern!

Sie ruhen in Frieden!

 

Kaspar Hauser

 

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