Noch ein weiter Weg zu Tolerancja - Eindrücke vom Warschauer CSD 2008

Veröffentlicht am 09.06.2008 in Schwule und Lesben

Erleichterung. Das war mein vorherrschendes Gefühl, als sich der Truck der Veranstalter ruckelnd in Bewegung setzte und ich gemeinsam mit Uli, seinem Freund Dirk und Sylvia vom ersten Wagen aus auf die bunte Gruppe der Schwulen, Lesben und die Unterstützerinnen und Unterstützer der Parada Równości (Parade der Gleichheit) blickte.

Erleichterung. Das war mein vorherrschendes Gefühl, als sich der Truck der Veranstalter ruckelnd in Bewegung setzte und ich gemeinsam mit Uli, seinem Freund Dirk und Sylvia vom ersten Wagen aus auf die bunte Gruppe der Schwulen, Lesben und die Unterstützerinnen und Unterstützer der Parada Równości (Parade der Gleichheit) blickte.

Ich gebe es zu: ich bin mit recht mulmigem Gefühl nach Warschau gefahren. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine beklemmende Dokumentation über einen CSD in Krakau aus den letzten Jahren. Für mich völlig unvorstellbar, wurden die meist jugendlichen Teilnehmer der Parade nicht nur auf derbste Weise beschimpft, sondern sogar mit Eiern und Steinen beworfen. Rechtsnationale Kräfte aus dem ganzen Land wurden zusammengetrommelt und skandierten „Schwule ins KZ, Lesben sterilisieren!“- und das vor den Toren des berüchtigten Konzentrationslagers Auschwitz. Die Demonstration dort konnte überhaupt nur unter starkem Polizeischutz stattfinden.

Mit diesen Bildern im Kopf und den besorgten Kommentaren der Freunde: „Komm’ bloß heil zurück“, traf ich also am Samstag in Warschau ein. Zunächst war ich schon beruhigt, dass ich mit Uli von den Landesschwusos bereits ein vertrautes Gesicht kannte. Außerdem sorgte neben der freundlichen und heiteren Stimmung unter allen Beteiligten erstaunlicherweise das massive Polizeiaufgebot, das bereits vor Beginn der Demo vor Ort war, bei mir für ein Gefühl der Sicherheit. Sehr eigenartig. Ich kann mich nicht erinnern, jemals beim Anblick so vieler „Freunde und Helfer“ in Uniform etwas Ähnliches empfunden zu haben.

Während der Parade zeigten sich sehr widersprüchliche Bilder. Offenes oder verschämte Gesten der Sympathie und der Solidarität durch Winkel, Zublinzeln oder Lächeln durch Passanten am Wegesrand wechselten sich ab mit offensichtlichen Beschimpfungen, Stinkefinger, empörtem Hämmern an den Kopf („Ihr seit doch verrückt!“) oder pathetischen Bekreuzigungen. Schnell wurde deutlich, dass meine erste pauschale Einschätzung jung = tolerant und alt = konservativ (nicht nur hier) überhaupt nicht stimmte.

Entlang der Wegstrecke blickte ich in erschreckend viele gleichgültige, ablehnende, gar hasserfüllte Gesichter von jungen Männern und Frauen und habe mich um so mehr über freundliche Blicke, heftiges Schwenken von Regenbogenflaggen oder ein verschämtes Winken gerade der Älteren gefreut – auch wenn es nur aus sicherer Entfernung, hinter der sicheren Fensterscheibe der eigenen Wohnung war. Die Gegendemonstranten wurden von der Polizei isoliert und hatten so glücklicherweise keine Möglichkeit, unseren Umzug zu stören.

Der Zug endete im Botschaftsviertel. Kurz vor Schluss gab es dort noch ein besonderes Highlight. Die Britische Botschaft hatte als Symbol der Unterstützung die Regenbogenflagge gehisst. Diese schöne Geste wurde mit heftigem Applaus begrüßt.

Als ich nach der Parade gemeinsam mit einem polnischen Bekannten durch Warschau schlenderte, der wegen des warmen Wetters ohne T-Shirt herumlief und einen offensichtlich als „schwul“ eingeschätzten Rucksack trug, passierte etwas für mich kaum vorstellbares. Unterwegs wurden wir alle paar Minuten aufgehalten und bedrängt. Ich war schockiert. Einerseits, weil ich solch eine Situation in Deutschland noch nie erlebt habe- wohlgemerkt: wir gingen weder Hand in Hand, umarmt oder knutschend durch die Straßen- andererseits wegen seiner Reaktion. „Wieso, es ist doch normal. Mir ist doch nichts passiert“, fragte er mich erstaunt, als ich ihn darauf ansprach, wie es denn sein kann, dass man ihn einfach so auf offener Straße als „Schwuchtel“ beschimpft und belästigt.

Am Abend, als wir zusammen in ein Restaurant gehen wollten, und ein freier Tisch an den wir uns gerade gesetzt hatten, plötzlich ausschließlich für Gruppen verfügbar sein sollte, obwohl an einigen Nebentischen ebenfalls nur zwei Personen saßen, war die Euphorie des Nachmittages schnell verflogen und die Stimmung auf einem Tiefpunkt. In dieses Bild passt leider auch die Einschätzung, dass nicht nur die Teilnehmerzahl an der nunmehr 3. Parade sondern auch das Wohlwollen und die Sympathie in der Bevölkerung für Schwule und Lesben insgesamt rückläufig sind.

Mein Fazit: Der Weg hin zu mehr tolerancja ist in Polen und selbst in der Metropole Warschau offenbar noch recht lang und steinig. Daher ist es umso wichtiger, auch in Zukunft die polnischen Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender in ihrem Streben nach Gleichheit und Akzeptanz weiter zu unterstützen. Wir Schwusos sind dabei!

Felix Rasche
Schwusos Tempelhof-Schöneberg

Nähere Informationen und Bilder der Parade gibt es z.B. unter www.warschauerpakt2008.de

 

Homepage SPD Tempelhof-Schöneberg

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